Jedes Jahr geben die Deutschen 17 Milliarden Euro für Kleidung aus. Dabei wissen die wenigsten: die sozialen und ökologischen Auswirkungen der weltweiten Textilindustrie sind enorm.

Auf dem Weg von der Natur- oder Chemiefaser über etliche Veredelungsschritte bis hin zur Konfektion werden unvorstellbare Mengen an Chemikalien, Energie und Wasser verbraucht und -unter Ausnutzung lascher Gesetze oder verbreiteter Korruption in den Produktionsländern- oft ungeklärt in natürliche Gewässer eingeleitet.

Schätzungen besagen, dass die Textilindustrie für 20% der weltweiten Abwässer, 10% der CO2 Emissionen sowie 24% aller verbrauchten Insektizide und 11% aller Pestizide verantwortlich ist.

NGOs wie etwa Greenpeace informieren regelmäßig über die desaströsen Auswirkungen der Branche.

Zudem gibt es in den Produktionsländern des Südens noch immer viele ungeklärte Fragen zu Menschen- und Arbeitnehmerrechten, Arbeitssicherheit, Mindestlohn sowie Kinder- und Zwangsarbeit – allen Bemühungen zum Trotz. Damit wir uns jede Saison nach neuen Trends einkleiden, und zwar möglichst günstig, schuften weltweit Millionen von Menschen unter teilweise unvorstellbaren Bedingungen.

Für deren Rechte setzen sich Initiativen wie Clean Cloth Campaign (hier der deutsche Ableger) oder Fashion Revolution ein. Mit kreativen, Aufsehen erregenden Kampagnen, wie dieser Film zeigt.

Neben der Sensibilisierung der Verbraucher helfen Branchenanalysen, den Blick auf die Fakten zu schärfen und die Branchenakteure zu bewegen. Die dänische NGO Global Fashion Agenda (GFA) hat jetzt in Zusammenarbeit mit der Boston Consulting Group (BCG) eine neue Ausgabe der Studie Pulse of the Fashion Industry veröffentlicht. Sie beschreibt den Stand der Nachhaltigkeitsleistung der Branche und zeigt Wege und Möglichkeiten zu Nachhaltigkeit dank disruptiver Innovationen auf, die durch neue Technologien beflügelt werden.

Nachhaltigkeit ist definitiv im Massenmarkt angekommen – doch viele Unternehmen sind noch immer zurückhaltend

Die Autoren betonen, dass die Modeindustrie als eine der weltweit größten Branchen ein ureigenes Interesse an einer nachhaltigen und von Wohlstand geprägten Zukunft hat. Die bereits skizzierten Herausforderungen im Umwelt- und Sozialbereich wachsen mit der zunehmenden weltweiten Nachfrage. Zugleich setzen trotz der Ausdehnung von fast fashion kritische Verbraucherstimmen die Branche unter Veränderungsdruck.

Der Weg, den die Unternehmen in Summe vor sich haben, ist lang. BCG und GFA haben errechnet, dass die  Nachhaltigkeitsleistung der Branche im letzten Jahr einen ‚Pulse Score’ von 38/100 erreicht hat. Der Pulse Score ist ein von BCG und GFA entwickelter Indikator für Nachhaltigkeitsleistung, der auf dem Higg Index der Sustainable Apparel Coalition basiert. In 2017 zeichneten sich vorwiegend Unternehmen im mittleren Preissegment durch nennenswerte Fortschritte aus. Daraus schließen die Autoren, dass Nachhaltigkeit definitiv im Massenmarkt angekommen ist. Auch einzelne kleinere Anbieter konnten den Abstand zu den Vorreitern erheblich reduzieren.

Andererseits ließ der Fortschritt bei den bisherigen Nachhaltigkeits-Vorreitern, aber auch bei den Unternehmen am untersten Ende der Performance-Skala zu wünschen übrig. Viele gut aufgestellt Konzerne und Luxusanbieter beklagten Probleme beim Vorantreiben ihrer Nachhaltigkeits-Agenda. Und:

Ein Drittel aller Unternehmen der Modebranche hat bisher noch keinerlei Aktivitäten in Sachen Nachhaltigkeit unternommen.

Dabei empfiehlt sich die Anwendung bewährter best practices nicht nur aus ethischen Gründen; Nachhaltigkeit lohnt sich erwiesenermaßen auch im Sinne des business case! Durchgehend konnten Unternehmen, die entschiedene Schritte unternommen haben, ihre EBIT-Margen um 1-2 Prozent steigern. Von den positiven Wirkungen auf Markenwert und Risiko-Management einmal ganz abgesehen…

Praktische Orientierungshilfen für zukunftsfähige Mode

BCG and GFA haben gemeinsam mit einigen Branchenakteuren zwei Rahmenprogramme als Orientierungshilfe für Textilunternehmen entwickelt.

  • Anhand der Pulse Curve können die Unternehmen ihre Aktivitäten und Leistungen mit denen anderer vergleichen und ihren Fortschritt im Zeitablauf messen.
  • Die Roadmap to Scale ist ein inspirierender Leitfaden, der den Unternehmen konkrete Handlungsoptionen für die Gestaltung ihrer Nachhaltigkeitsprogramme bietet.

Doch die Zeit drängt. Inkrementelle Verbesserungen einzelner Unternehmen reichen bei weitem nicht mehr aus. Branchenweite Zusammenarbeit und ein klares Bekenntnis aller führenden Unternehmen zu einer verantwortungsvollen Langzeit-Strategie sind unabdingbar.

Bestehende Lösungen und Geschäftsmodelle liefern bislang nicht den benötigten Impact. Genau der aber ist nötig, um die Branche nachhaltig zu verändern und zukunftsfähig zu machen.

Neue Technologien und Modelle zeichnen sich gerade erst am Horizont ab. Die derzeit viel versprechendsten Bereiche mit nennenswertem Innovations-Potential sind laut BCG / GFA:

  • Nachhaltiger Materialmix: Deutlich reduzierte Umweltauswirkungen durch den Einsatz unkonventioneller Fasern wie Weinreben, Tang- oder Bastfasern. Bio-Engineering in der Lederproduktion oder Prozessinnovationen, die den Einsatz von Chemie erheblich verringern.
  • Geschlossene Kreisläufe: Wiedergebrauch und Recycling von Fasern schont begrenzte Land-, Wasser- und Energieressourcen, die bisher intensiv in der Modeindustrie genutzt werden. Auch kundenorientierte „fashion-as-a-service“ Angebote können die Kreislaufwirtschaft unterstützen.
  • Industrie 4.0: zunehmende Automatisierung kann die Branche von Grund auf umwälzen. Die gesamte Wertschöpfungskette wird schlanker und kann von enormen Produktivitätssteigerungen profitiert.

Weitere Beispiele für den Einsatz neuer Technologien sind virtuelle Designsoftware und 3D-Druckverfahren. Abfälle und die Zeit bis zur Marktreife werden durch diese Ansätze dramatisch reduziert. Auch Sensortechnik und das Internet der Dinge (IoT) bieten ungeahnte Potentiale.

Erst ein starkes Innovations-Ökosystem verwandelt Chancen in Realität

Innovationen werden also die Art und Weise, in der Kleidung produziert und konsumiert wird, dramatisch verändern. Hier einige Beispiele, die schon heute ein klareres Bild von der Zukunft vermitteln:

  • Instant fashion: dank 3D Druck und anderer on-demand Technologien bekommen Kunden das Kleidungsstück ihrer Wahl wann immer sie wollen und wie sie es wollen direkt am Point of Sale. Die Umweltauswirkungen eines solchen ad hoc Produktionssytems sind ungleich geringer, gleichzeitig kann der Anbieter zu 100% auf die Wünsche der Kunden eingehen. Nicht nur Textilien, auch Schuhe lassen sich mit 3D bedarfsgerecht fertigen, wie Adidas mit seinem Futurecraft Laufschuh seit Jahresbeginn zeigt.
  • Fashion as a service: Die sharing economy beflügelt die Weiter- oder Wiederverwendung auch von Textilien. Analog zur Nutzung von Software as a service (SaaS) bedeutet das letztendlich, dass die Kunden ihre Kleidung mieten. Auch hier wird der ökologische Fußabdruck dank der geringeren Produktionsmengen erheblich reduziert.
  • Smart fashion: Kleidungsstücke werden mit Sensoren versehen, um Kundenwünsche sofort erfüllen zu können; bspw. sorgen smarte Fasern für wechselnde Farben. Damit könnte die Menge an Bekleidungsstücken reduziert werden, und demzufolge auch die Umweltauswirkungen.

Den vollständigen Report Pulse of the Fashion Industry 2018 finden Sie hier zum Download.