Ein Interview mit Informationswissenschaftlerin und Kommunikationsexpertin Barbara Materne über die Rolle der Kommunikation in Veränderungsprozessen und das Potenzial der Diversität

Barbara, wir leben ja gerade in einer Zeit von großen Veränderungen. Corona hat uns alle erst mal innehalten lassen, und viele sind sich einig, dass gerade in der Arbeitswelt große Transformationsprozesse angestoßen wurden. Welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang die Kommunikation?

Davon bin ich auch überzeugt: Viele der tiefgreifenden Veränderungen, die durch Corona beschleunigt wurden, werden uns auf lange Sicht erhalten bleiben, zum Beispiel dezentralisierte Arbeitsstrukturen und damit verbunden neue Formen der Mitarbeiterführung. Darüber besteht weitestgehender Konsens. Unternehmen und Organisationen tun also gut daran, nicht nur die aktuelle Situation zu bewältigen, sondern sich vor allem auch langfristig gut aufzustellen.

Die interne und externe Kommunikation in diesen Veränderungsprozessen ist dabei nicht nur ein, sondern in meinen Augen der zentrale Erfolgsfaktor. Sie entscheidet darüber, ob Belegschaft, Zielgruppen und andere Stakeholder sich abgeholt, mitgenommen und beteiligt fühlen.

Große Veränderungen – wie sie ja auch die Nachhaltigkeit in Unternehmen nach sich zieht – bedeuten oft auch Krisen und große Verunsicherung. Wie kann Sprache hier Halt geben?

Nicht nur Unsicherheit, auch ein Gefühl der Überforderung und handfeste Zukunftsängste können durch Veränderungen ausgelöst werden. Das bindet Energien und Ressourcen, die anderswo deutlich besser aufgehoben wären. Ich empfehle daher, sobald wie möglich die Karten auf den Tisch zu legen und ebenso klar wie transparent und nachvollziehbar zu sagen, was Sache ist. Unmut entsteht ja oft nicht durch eine schwierige Situation, sondern durch den Umgang damit.

Unmut entsteht nicht durch eine schwierige Situation, sondern durch den Umgang damit

Selbst wenn es noch keine in Stein gemeißelte Lösung gibt, erreicht ein Unternehmen viel, wenn es die Situation, die Auswirkungen, die nächsten Schritte und die aktuellen Überlegungen kommuniziert. Das hat gleich zwei Vorteile:

  1. Es verhindert, dass Halbwahrheiten und Gerüchte entstehen, die Runde machen und womöglich eine gefährliche Eigendynamik entwickeln.
  2. Wenn Menschen die Hintergründe kennen und wissen, für welchen Sinn und welchen Nutzen sie sich einsetzen, ist das unschlagbar für ihre Motivation und ihr Engagement.
Wie können bzw. sollten Unternehmen jetzt ihre Kommunikation auf Transformation einstellen? Krisenkommunikation allein kann es ja wohl nicht sein, oder?

Nichts gegen eine gute und geschickte Krisenkommunikation – die erfolgt allerdings unter Druck und reagiert immer nur auf eine Situation, die gerade aus dem Ruder läuft. Sinnvoller ist es in meinen Augen, Veränderungen präventiv und ohne akuten Handlungsdruck anzugehen und zu gestalten.

Das ist eine große Chance, bei der allerdings klar sein muss: Ein derart komplexer Prozess kann nur erfolgreich sein, wenn alle einbezogen werden, die davon betroffen sind. Dafür sollten systematische Kommunikationsstrukturen in Form von Gesprächen, Meetings und Workshops etabliert werden, die Orientierung geben und Beteiligung ermöglichen.

Ich bin ohnehin oft überrascht wie bereitwillig Unternehmen das Know-how und das Potenzial ihrer Teams ungenutzt lassen, obwohl sich dadurch ein enormer Mehrwert generieren ließe. Schließlich können gerade diejenigen, die sich in ihrem Arbeitsbereich bestens auskennen, wertvolle Impulse beisteuern. Dazu müssen sie allerdings gefragt werden, zum Beispiel, wie mit den Veränderungen und Entwicklungen am besten umgegangen werden sollte und wie das bestenfalls gewünschte Ergebnis aussieht.

Viele Unternehmen lassen bereitwillig das Know-how und das Potenzial ihrer Teams ungenutzt

Sprechen aus deiner Sicht eher Frauen oder Männer die Sprache der Veränderung? Und würden mehr Frauen in Führungspositionen die Unternehmen besser durch Krisen führen?

Aktuell wird ja oft ein unmittelbarer Zusammenhang hergestellt zwischen einer weiblichen Regierungschefin und einer bemerkenswert guten Bewältigung der Corona-Krise. Auf der anderen Seite sind Länder und Unternehmen ja auch schon sehr gut und umsichtig von Männern durch Krisen und stürmische Zeiten gelotst worden. Du merkst schon: Ich tue mich da immer schwer mit apodiktischen Aussagen und Zuordnungen.

Festhalten lässt sich aber auf jeden Fall, dass Frauen – und generell personelle Diversität – in der Unternehmensspitze nachweislich für bessere Lösungen und Ergebnisse sorgen – übrigens auch ganz ohne Krise.

Frauen und personelle Diversität in der Unternehmensspitze sorgen nachweislich für bessere Lösungen und Ergebnisse

Sprachlich braucht es beides: Zum einen klare Aussagen und Zielformulierungen, die Sicherheit vermitteln und Orientierung für die Zukunft geben. Ebenso zentral für das Gelingen ist eine integrative und prozessorientierte Kommunikation, die Interesse signalisiert und kooperative Lösungen ermöglicht.

Neben der Kommunikation ist es für den Erfolg zudem entscheidend, dass die Geschäftsführung höchstpersönlich sichtbar und glaubwürdig hinter einem Transformationsprozess steht. Nur dann wird er akzeptiert und engagiert mitgetragen. Diese Aufgabe ist nicht delegierbar.

Barbara Materne ist Informationswissenschaftlerin und Kommunikationsexpertin. Mit den Herausforderungen und Chancen der geschlechtsspezifischen Kommunikation befasst sie sich, seit sie vor 14 Jahren das Zentrum für Gender Studies an der Universität Siegen mit aufbaute. Sie trainiert und berät Fach- und Führungskräfte – offline wie online – im Hinblick darauf, wie sie so selbstsicher auftreten und souverän kommunizieren, dass sie auch schwierige Situationen unerschütterlich im Griff haben. Außerdem hält sie Vorträge zu den Themen Diversity und Persönlichkeitsentwicklung.